Wann haben wir begonnen, uns vom Prinzip der Servicequalität in der Dienstleistung zu verabschieden? Erwarten wir Wertschätzung ohne Wert zu stiften. Und warum ich mir wohl künftig meinen Kaffee selbst zubereite und auf eine Barista-gerechte Schaumkrone verzichte.
Bahnhof, Wr. Neustadt. Ich hole eine Kollegin ab. Es ist noch genug Zeit, gemütlich einen Kaffee in dem Schnell-Kaffee, das an eine dieser Bäckereiketten angegliedert ist, zu nehmen. Mehr zum Runterzukommen vom Stress der letzten Tage, weniger des Genusses wegen. Wir sind ja auf einem österreichischen Bahnhof und nicht auf der Grand Central Station in New York. Alles fein. Die Erwartungen sind dort, wo sie hingehören. Schließlich weiß man als gelernter Mediator, dass die Ursachen von Konflikten auch in den eigenen Erwartungen liegen. Nach dieser Begebenheit werde ich allerdings meinen Erfahrungsschatz ausgeweitet haben: Ich werde gelernt haben, meine Erwartungen konsequent zu senken. Ganz besonders jene an Service.

Wann haben wir uns von der Dienstleistung verabschiedet?
Ich gehe also zur Vitrine, wo eine Mitarbeiterin eifrig damit beschäftigt ist, Weckerln zu belegen (für meine deutschen Leser: Stullen zu fertigen). Ich frage nach einem Verlängerten Schwarz (also Mokka mit mehr Wasser oder nennen Sie ihn Americano, ganz egal, die einfachste Form von Kaffee). Ich werde darauf verwiesen, dass Kaffee nur bei der Kollegin bestellt werden, die gerade nicht da, aber gleich kommen wird. Nun ist "gleich" im österreichischen Sprachgebrauch ein Synonym für einen unbestimmbaren Zeitraum. Meine Neffen verwenden diesen recht erfolgreich, wenn es darum geht, häusliche Pflichten möglichst auf die lange Bank zu schieben.
Aber genauso wie die Eltern der Neffen, damit gelernt haben zu leben - sie machen die Aufgaben dann meist selbst -, bin ich als Österreicher auf dieses Wort konditioniert. Willst du etwas haben, musst du eben Geduld beweisen. Und natürlich stelle ich auch nicht infrage, warum die mit Jausenbroten beschäftige Fachkraft nicht den Knopf an dem Halbautomaten betätigen kann. Wir haben hier ganz klare Bestimmung, was die Ausbildung zum Barista (wie ist die weibliche Form: Baristina?). Wo kämen wir dahin, wenn da jeder den Knopf drückt? Wir haben schon für ganz andere Themen zwischenzeitlich Fachhochschulen, die uns reichlich mit Bachelor-Degrees in den verschiedenen Berufsbildern versorgen.
Ist Service zumutbar?
Ich stelle mich also geduldig an dem Ort der Kaffee-Ausgabe an. Ich bin der einzige Kunde – abgesehen von zwei anderen, die in ihre Laptops oder Handys vertieft sind. Und verfolge ein Gespräch. Jenes der Filialleiterin mit einer Mitarbeiterin, die "ohrenscheinlich" wohl neu im Geschäft ist. Sie führten es im hinteren, von meiner Stelle aus nicht einsehbaren Bereich der Filiale. So eine Einschulung kann schon dauern, ich habe volles Verständnis. Zum Glück möchte ich ja auch keine Milch in den Kaffee, die würde zwischenzeitlich wohl sauer werden. Spannend werden dann für mich die Ausführungen, die auf die Gesundheit der neuen Mitarbeiterin abzielen. Sie möge sich keinesfalls stressen lassen. Manche Kunden seien da wohl recht fordernd, einfach eine Zumutung für die Mitarbeiter. Kann ich mir jetzt gar nicht vorstellen, schließlich kann man ja ruhig den nächsten Zug nehmen, wenn es der Bedienung im Schnell-Kaffee mal grade nicht so flott von der Hand geht.
Dienst mit mangelhafter Leistung
Letztendlich erscheinen die zwei Damen und nehmen den Platz hinter der Vitrine ein. Kein Wort hinsichtlich der etwas längeren Wartezeit. Ist ja auch nicht notwendig, schließlich habe ich gerade sehr vom zweiten Bildungsweg profitiert. Ich gebe meine Bestellung auf: Verlängert Schwarz, zum Hier-Trinken – so sagen wir Ösis das, wenn wir uns für Kaffee Zeit nehmen und uns an diesem nicht to-go-mäßig verbrühen wollen. Das Gebräu schmeckt aus Porzellan einfach besser. Alles eine Frage der Verpackung. Es zischt und brodelt. Der Kaffee ist fertig und wird mir im Pappbecher kredenzt. Im Pappbecher. Die Porzellantassen wurden verschmäht, wohl um zu vermeiden, dass sich die Fachkraft an den heißen Dämpfen des Geschirrspülers die Hände verbrüht. Reflexartig gebe ich Trinkgeld und trolle mich an einen der Stehtische.
Was bleibt, sind drei Fragen, die über diese Anekdote hinausgehen:
Wertschätzung: Ist Wertschätzung zur Einbahn geworden? Warum wird von immer mehr Mitarbeitern der Ruf nach mehr Wertschätzung laut? Wohl deswegen, weil die "Ressource "Mitarbeiter" kostbar ist. Doch wie verhält es sich mit jener, die wir Kunden entgegenbringen?
Dienstleistung: Könnte es sein, dass der Dienst am Kunden in enger Abhängigkeit zur eigenen Leistung steht? Die zum größten Teil schlechten Kundenratings der Top-Retail-Unternehmen deuten darauf hin.
Kann ich das nicht selbst besser? Keine Wartezeiten. Ich drücke selbst auf den Knopf. Wähle meine Lieblingstasse. Gut, die Barista-Schaumkrone, an der muss ich noch arbeiten. Das Trinkgeld bin ich mir jedenfalls wert.
Konflikt-Barometer
Involvierte Personen: | 🧨🧨 |
Eskalation: | 🧨 |
Relevanz: | 🧨 |
Mögliche Empathie: | 🕊🕊 |
Lösungsoptionen: | 🕊🕊🕊 |
Erzielbarer Kompromiss: | 🕊🕊🕊 |
Der Autor erlaubt sich in der Verarbeitung persönlicher Konflikte Mitteln der Satire. Das Konflikt-Barometer ist der nicht wissenschaftliche Versuch einer Bewertung von Konfliktsituationen. Es können je nach Ausprägung bis zu 3 Dynamitstangen bzw. Friedenstauben vergeben werden.
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