„Narzissmus killt den Respekt. Oder ist es einfach nur Einsamkeit.“
Wer kennt das nicht? Der öffentliche Raum wird zunehmend zur akustischen Bühne, auf der wir ungewollt in fremde Dialoge verwickelt werden. Und nicht jeden Darsteller würde ich mir freiwillig ansehen, geschweige denn Aufmerksamkeit seiner Darbietung leisten wollen. Es reicht nicht mehr aus, einfach nur da zu sein. Nein, man wird unaufgefordert Teil eines Konzerts aus Stimmen, Klingeltönen und YouTube-Videos. Hier drei Geschichten aus dem Alltag, die alle innerhalb einer Woche passiert sind und eines gemeinsam haben: Sie bringen mich dazu, meines eigenes Sozialisationsvermögen zu hinterfragen.

Montagsfrühstück beim Bäcker – Beruflich oder privat, Hauptsache laut
Ich sitze in der Restaurantecke eines Bäckers. Es ist vollbesetzt, die Tische dicht an dicht. In der Mitte eine Sofaecke, wo ein Mann genüsslich sein Frühstück einnimmt. Sein Handy liegt vor ihm, auf Lautsprecher geschaltet, und er telefoniert lauthals mit einer Kollegin. Es geht um berufliche Details, deren Inhalt ich nie erfahren wollte – aber da bin wohl zu wählerisch.
Seine Ignoranz gegenüber den umliegenden Tischen ist beeindruckend. Mehrere Blicke fliegen in seine Richtung, doch der Mann bleibt unbeeindruckt. Vielleicht ist es Ignoranz, vielleicht ein Mangel an Selbstwahrnehmung. Vielleicht hat er sich schlicht daran gewöhnt, dass sein Leben auf „Broadcast“ läuft und dass andere Menschen lediglich Hintergrundrauschen sind.
Ambulanz-Lounge oder Live-Callcenter?
Zwei Tage später sitze ich mit meiner Frau in einer Krankenhausambulanz. Es ist Grippezeit, der Warteraum brechend voll. Die Sitzordnung erinnert an einen Jumbo-Jet, und immerhin tragen einige Masken – natürlich nicht die betreffende Person.
Eine Frau liegt auf einem Bett direkt neben dem Wartebereich. Sie hat ihren Lautsprecher aktiviert und telefoniert mit einer erstaunlichen Ausdauer über die Stornierung irgendeiner Bestellung. Ihr Gesprächspartner ist deutlich zu hören, und das Thema interessiert niemanden, außer vielleicht sie selbst.
Das Spannende ist: Die Dame spricht mit gedämpfter Stimme. Ihre Überlegung? Vielleicht hofft sie, durch leisere Worte auch die Lautstärke des Lautsprechers zu senken. Apple könnte daraus ein spannendes Feature entwickeln: „Flüster-Mode aktiviert!“
Schizophren im Kaffeehaus
Gestern: Ich sitze in einem italienischen Café und warte auf meine Frau. Italienische Musik spielt im Hintergrund – eine angenehme, atmosphärische Beschallung. Wäre da nicht der Herr am Nebentisch.
Dieser hat keinen Gesprächspartner, also muss das Smartphone einspringen. Er öffnet eine E-Mail, findet einen YouTube-Link, und zack: Das Video läuft – selbstverständlich ohne Kopfhörer. Die italienische Musik und das Video konkurrieren um Dominanz, während ich langsam in eine akustische Schizophrenie schlittere.
Nach einer Abfolge von Videos wage ich den Schritt. „Entschuldigung, könnten Sie das vielleicht leiser machen?“ Seine Antwort? „Zu Hause hätten Sie wohl mehr Ruhe.“ Touché. Ich stimme zu und verlange die Rechnung, um10 Dezibel und einen Konfliktfall erleichtert.
Draußen vor dem Cafe steht eine der letzten Telefonzellen Wiens. Ich beschließe, mich wohl für eine Petition nach Telefonzellen starkzumachen: Wo sind sie, die alten Telefon-Hütterln? Man könnte sie ganz einfach ohne den Telefonautomaten betreiben, als Rückzugszone für Telefon-Narzisten.
Warum machen Menschen das?
Die Gründe für solches Verhalten könnten vielfältig sein:
Digitaler Narzissmus: Das eigene Leben erscheint so wichtig, dass es mit allen geteilt werden muss – ob gewollt oder nicht. Vielleicht aber auch nur einfach Einsamkeit.
Mangel an Empathie: Viele Menschen nehmen ihre Umgebung kaum wahr und denken nicht darüber nach, wie ihr Verhalten auf andere wirkt.
Gewohnheit: Lautsprecher-Telefonate und Videos sind für manche zum Normalfall geworden – sie bemerken die Störung schlicht nicht mehr.
Fehlende Regeln: In einer Welt, in der sich gesellschaftliche Normen ständig verschieben, gibt es oft keine klaren Benimmregeln für solche Situationen.
Gesellschaftlicher Trend oder Ausnahmeerscheinung?
Ist das alles ein Zeichen unserer Zeit? Die Antwort ist vermutlich ja. Rücksichtnahme und Respekt gegenüber anderen scheinen immer mehr zu erodieren. Vielleicht liegt es daran, dass wir in einer Welt leben, die stärker denn je auf Individualismus setzt. Jede*r kämpft für sich selbst – und dabei geht manchmal das Bewusstsein für die Gemeinschaft verloren.
Doch ist das wirklich Egoismus? Oder liegt es daran, dass sich soziale Strukturen verändern? Früher waren Benimmregeln klar definiert, heute sind sie oft optional.
Ist der Konflikt unausweichlich? Mögliche Reaktionen.
Natürlich gibt es viele Möglichkeiten, auf solche Situationen zu reagieren – einige effektiver, andere weniger.
Ignorieren: Nicht die beste Lösung, aber oft die einfachste.
Höflich ansprechen: Ein freundlicher Hinweis kann Wunder wirken. Beispiel: „Entschuldigung, könnten Sie bitte Kopfhörer benutzen?“
Selbstironie: Humor hilft oft, die Situation zu entschärfen. „Wow, das klingt ja spannend – wann kommt der Film raus?“
Klarer Standpunkt: Wenn alles andere nicht funktioniert, darf man auch mal direkt werden: „Entschuldigung, aber das stört mich.“
Regeln fordern: Vielleicht braucht es in Cafés und öffentlichen Räumen irgendwann klare „No-Speaker“-Zonen.
Fazit: Respekt fängt im Alltag an
Ob es nun Handy-Telefonate in der U-Bahn oder am gemeinsamen Mittagstisch sind. Egal ob wichtig oder skuril. Telefonate im Besein Nicht-Beteiligter, grenz diese aus und ist einfach unhöflich. Sie sind Symbole für den Verlust von Rücksichtnahme und Respekt.
Vielleicht sollten wir uns alle fragen: Wie möchte ich behandelt werden? Und wie kann ich andere Menschen respektvoller behandeln? Denn am Ende beginnt der gesellschaftliche Wandel bei jedem Einzelnen – und manchmal reicht ein Kopfhörer, um die Welt ein kleines bisschen leiser und angenehmer zu machen. 🎧
Konflikt-Barometer
Involvierte Personen: | 🧨🧨 |
Eskalation: | 🧨 |
Relevanz: | 🧨🧨 |
Mögliche Empathie: | 🕊🕊 |
Lösungsoptionen: | 🕊🕊🕊 |
Erzielbarer Kompromiss: | 🕊🕊 |
Der Autor erlaubt sich in der Verarbeitung persönlicher Konflikte Mitteln der Satire. Das Konflikt-Barometer ist der nicht wissenschaftliche Versuch einer Bewertung von Konfliktsituationen. Es können je nach Ausprägung bis zu 3 Dynamitstangen bzw. Friedenstauben vergeben werden.
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