top of page

NEULICH in der Straßenbahn – eine Konflikt-Story aus dem Alltag

Autorenbild: Isolde WeberbergerIsolde Weberberger

Aktualisiert: 19. Nov. 2024

Konflikte erhitzen unsere Gemüter. Wie aber die Hitze eines Sommertages zu einem Konflikt in der Straßenbahn führt, das erzählt unsere Gastautorin Isolde Weberberger. Sie befand sich nicht nur in einem klimaschonendem Öffi, sondern gleichzeitig im Auge eines Konflikt-Hurrikans, der ein erstaunliches Ende fand. Gleichzeitig zeigt Isolde die zunehmende Eskalationsbereitschaft auf und gibt einen Blick auf die multikulturelle Seele Österreichs frei.


Isolde Weberberger ist überzeugte Öffi-Nutzerin, auch wenn es manchmal heiß zugeht.
Isolde Weberberger ist überzeugte Öffi-Nutzerin, auch wenn es manchmal heiß zugeht.

Ich bin überzeugte Öffi-Fahrerin. 

Immer schon, nicht erst, seitdem das Klimaticket zur Überfüllung der Züge und Straßenbahnen auch außerhalb der Stoßzeiten sein Scherflein beigetragen hat.  Ich kann dem Autofahren nichts abgewinnen und hab das Glück, dass mein Wohn- und Arbeitsort gut vernetzt ist.


Mein Mann und alle Freunde kutschieren mich herum, und für meine Nerven und auch die meiner Mitmenschen ist die Entscheidung, nur öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, ein heilsamer Balsam.


Natürlich erlebe ich Verspätungen, Ausfälle, sogar Unfälle und alle üblichen Hoppalas, die das Öffi-Leben so beinhaltet – trotzdem, und vor allem, da die positiven Seiten überwiegen, kann ich sehr gut und auch entspannt mit den diversen Herausforderungen umgehen.

Manchmal kommt es im Chaos und der Reizüberflutung auch zu Momenten der Zwischenmenschlichkeit. Menschen zeigen sich solidarisch, interessieren sich füreinander oder lachen sogar gemeinsam, obwohl sie sich vorher nicht gekannt haben.

 

Bei diversen „Fahrgastsünden“ – wie lautes Telefonieren (also das in Großbuchstaben ins Smartphone schreien), das Blockieren der Türen und Unhöflichkeit gegenüber älteren Mitmenschen mische ich mich durchaus ein. Souverän, lächelnd und auf Verständnis pochend. Durch jahrelanges Präsenztraining und der nötigen Portion Mut, den Mund aufzumachen, gelang es mir oft, die Situation für die Beteiligten angenehmer zu gestalten. 

 

Vorige Woche bei 36 Grad, nach einem anstrengenden Tag im hoffnungslos überfüllten Regionalzug, erteilte mir das Leben eine neue Lektion:

 

Ein Fahrradlenker bohrt sich in meine Hüfte auf der einen Seite hinein, der Rucksack des Gegenübers auf der anderen Seite. Ein Kind schreit. Die seltsam menschlich-chemischen Gerüche, die nicht mehr zuordenbar sind, führen zu einem ersten Hüsteln und der Sehnsucht nach der erneuten Maskenpflicht (bzw. dem Ärger über meine eigene Vergesslichkeit, normalerweise habe ich doch immer eine in der Tasche… Vergebens, ich komme sowieso nicht an sie ran.)

 

Was erblicken da meine ohnehin schon gereizten Augen? Eine sehr gepflegte, ältere Dame versucht, ihren persönlichen Nahraum zu behalten. Ich kenne das zu gut. Hängt man bereits in der Achsel des Vordermanns, wird der Nahraum überschritten und man empfindet dies als körperlichen Übergriff. Das schafft durchaus schlechte Stimmung. Sie lächelt freundlich und bittet um Vorsicht und ein bisschen Nachrücken. Nichts passiert. Ignoranz pur – das triggert mich am meisten.


Ohnehin schon benebelt von der Wolke des schweißigen Geruchs, der sich in der in China erzeugten Synthetikware des Rucksackträgers festgesetzt hat, sammle ich meine restlichen Kräfte der Solidarität, setze ein Lächeln auf und höre mich plötzlich selbst:

„Hallo, sind Sie bitte so lieb und machen der Dame etwas mehr Platz? Ich weiß, dass es hier völlig überfüllt ist und wir alle genervt sind davon, aber wenn wir alle zusammenhelfen, dann schaffen wir vielleicht noch ein paar Zentimeter.“

 

Was immer meine Worte oder mein Gesichtsausdruck hier ausgelöst haben, der Dominostein gerät unter den verdichteten Fahrgästen ins Wanken. Verbale Attacken, von leisem Murren beginnend, hinzu lautstarkem Gebrüll erfüllen den ungastlichen Raum: "Hoit die Goschn Oide" ist noch die höflichste Formulierung des Rucksackträgers, der mir plötzlich richtiggehend sympathisch wird.

 

Komplett überfordert schreie ich laut in die Menge: "HALLOOOOO – aufhören – ich hab euch nichts getan – BITTE nehmt doch Rücksicht – wir sind ja gleich am Ziel!“

 

Die alte Dame hat zwischenzeitlich den Kopf gesenkt – resignierend oder aus Furcht.

 

Natürlich lässt sich das Rudel nicht beruhigen, sondern wird zunehmend lauter und noch unverschämter.  Und dann geht es so richtig los: Ein Rempler eines Herren mittleren Alters im Anzug (!!!) trifft einen bis dahin noch entspannten Schüler, der sich wiederum sowohl verbal als auch mit seinem Ellbogen zur Wehr setzt. Aus der anfänglichen Unruhe entsteht der Schauplatz einer emotionalen und intellektuellen Armutsregion. Die Situation eskalierte.

 

„JEBOTE, BUDALO“ Eines muss man dem Mann lassen, er ist unglaublich redegewandt. Ein JUGO – Eigendefinition von männlichen Personen mit Migrationshintergrund aus dem Balkan -, dessen Flüche für meine Ohren immer noch fremd klingen. Obwohl der Slang längst bei vielen salonfähig ist, schafft er es, breitbeinig aufzustehen und in die Menge zu grinsen und dann in meine Richtung zu schreien: STA TI JE; JEBEM TI MATER?

 

Ich werde sofort noch mehr rot und bin peinlich berührt. Dabei ist dies die Konfliktlösung schlechthin. Die einen zeigen sich ob seiner Körpergröße respektvoll oder auch ängstlich wieder gemäßigt – andere lachen und die alte Dame antwortete in einer am Balkan gebräuchlichen Sprache – wobei ich nur das Wort „DANKE“ übersetzen konnte.

 

Alle Blicke gehen eindeutig in meine Richtung und mir wird klar: ICH bin schuld an dem Ganzen.

 

Froh über das Ende der Zugfahrt und angekommen daheim, bin ich noch lange betroffen und denke an eine Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war. Damals, im Sommer 1998, als ich morgens in der Straßenbahn stand und neben mir eine Nena-Kopie sich mit hocherhobenem Arm an der Haltestange festhaltend mir Einblick in den Moschus-Dschungel gewährte.

Und sonst gar nichts passiert ist.

Gar nichts.


Konflikt-Barometer 


Involvierte Personen:

🧨🧨

Eskalation:

🧨🧨🧨

Relevanz:

🧨🧨

Mögliche Empathie:

🕊🕊

Lösungsoptionen:

🕊

Erzielbarer Kompromiss:

🕊🕊


Das Konflikt-Barometer ist der nicht wissenschaftliche Versuch einer Bewertung von Konfliktsituationen. Es können je nach Ausprägung bis zu 3 Dynamitstangen bzw. Friedenstauben vergeben werden. 


Autorin: Isolde Weberberger

ist Sales-Profi und Verkaufsleiterin bei Connex. In ihrer Freizeit ist sie unter anderem passionierte Laien-Schauspielerin.

33 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Comments


Treten wir in Verbindung ...

Rufen Sie uns gleich für ein unverbindliches Beratungsgespräch an. Wir erklären Ihnen gerne die Funktionsweise, Voraussetzung und Wirkung von Mediation und Coaching. Wir stehen Ihnen an 5 Standorten in ganz Österreich zur Verfügung:

oder gleich via
Tel: +43 (0) 681 81614885

Reden wir es aus.

Sie finden uns 5 Mal in Österreich.

5 Mal in Österreich
Jürgen Dostal, 2700 Wr. Neustadt
Christina Scholz, 2203 Großebersdorf,
Christiana Scholz, 1230 Wien
Jürgen Dostal, 2811 Wiesmath
Annette Behrendt, 6020 Innsbruck

Kontaktanfrage

Vielen Dank für Ihre Nachricht!

Olivenbaum

Newsletter zur Konflikt-Kompetenz 
abonnieren & nichts mehr verpassen.

Vielen Dank für die Einreichung.

® P R O C O N S E N S . A T, 2025, ist eine eingetragene Marke - Alle Partner*innen des Netzwerks arbeiten auf eigene Rechnung

Datenschutzerklärung - Impressum - Kontakt

(16)

5.0

Google-Rating
  • Instagram
  • Facebook
  • LinkedIn
bottom of page