Kennen Sie das? Es ist ein heißer Tag. Sie stehen in der Schlange vor der Eisvitrine und der gerade bediente Kunde veranstaltet eine Eisverkostung 🍦🍦🍦. Ich frage mich dann regelmäßig, ob ich mit meinen Entscheidungen zu sorglos umgehe. Ist die Wahl einer Eissorte nicht doch mit der Bindung an einen Lebenspartner oder zumindest mit der Investition in das nächste Familienauto gleichzusetzen?
Doch zurück an den Anfang der Geschichte und der Frage, ob es sich hier überhaupt um einen Konflikt handelt. Der Eisgreissler🍦 produziert bei uns in der Buckligen Welt Qualitätseis. Dann und wann besuche ich den Firmensitz, der über eine wunderbare Freizeitanlage und natürlich auch über eine Eisdiele verfügt. Die Anzahl der angebotenen Sorten ist nahezu unüberschaubar. Wenn Sie so wie ich bereits von mehr als 5 Chips-Sorten im Supermarktregal in Ihrer Entscheidung überfordert sind, dann haben Sie sich eine Überlebens-Routine zu eigen gemacht: Sie wissen vorweg bereits, welche Eissorte Sie nehmen werden oder – das mache ich – sie essen immer dieselbe Sorte – deswegen heißen diese wohl „Lieblingssorte“.
Nun, an diesem schönen Sonntag im Frühling hat sich Folgendes zugetragen: Es sind noch wenig Leute unterwegs. Ich starte daher in den gänzlichen leeren Eisshop, um mir meine Lieblingssorte zu holen. 5 m vor der Vitrine sehe ich aus dem Augenwinkel, wie ich von einer Mutter samt Anhang (2 Kleinkinder + Großmutter) eilenden Schrittes überholt werden. Kein Problem für mich, die Kinder sind sicher schwer unterzuckert und die Gefahr, dass ich den Eisgreissler aufkaufe, gleichzusetzen einem Tsunami.
Es kommt wie es kommen muss: Es startet die Eisverkostung 🍦🍦🍦🍦🍦 gepaart mit jenem innovativen Erziehungsstil, wie er neuerdings von übermotivierten Eltern praktiziert wird: Kinder, kaum der Windel entwachsen, werden nach neupädagogischen Ansätzen permanent der Notwendigkeit ausgesetzt, Entscheidungen zu treffen. Schokolade vom Zottel mit schockgefrostetem Himmbeer-Eis, oder doch lieber Joghurt mit rechtsdrehenden Bakterien kombiniert mit der leckeren Sorte aus Kokusnussschalen-Asche (gibt es dort wirklich, kein Schmäh)? Was das mit einem in Entwicklung befindlichen Kinderhirn Angesicht von mehr als 20 Eissorten tut, wage ich im Hinblick auf meine eigene Einschränkung in der Wahl von Eissorten nicht einzuschätzen, darf es aber unmittelbar erleben:
Mich als Mediator selbst analysierend, attestiere ich mir einen Intrapersonellen-Konflikt – heißt, dass langsam der Grant in mir aufsteigt. Nach der gefühlten Dauer der letzten Eiszeit frage ich keineswegs frostig: „Sie brauchen noch etwas Zeit?“, gepaart mit einer bedeutungsvollen Geste will ich zum Ausdruck bringen, dass ich die Verkostung im Hinblick auf die nächste Veröffentlichung der Kinderausgabe des Gault-Millau nicht stören möchte, aber vielleicht zwischenzeitlich doch eine Eiskugel … Ich ernte einen giftigen Blick, den ich nicht im Repertoire der waldorfschen Mutter vermutet hätte. Aber es kommt Bewegung in die Vertragsverhandlung zum Kauf von je einer gemischten Eiskugel: Die Mutter ersucht, die Kinder um eine Entscheidung. Prompt wird diese auch in Form von schreienden Befehlen an den Eis-Mann hinter der Theke seitens der Kleinkinder erteilt. Das muss man (also ich) dann schon verstehen, schließlich waren sie während der gesamten Verkostung der Ausnahmesituation ausgesetzt, auf das Ziel ihres Begehrens warten zu müssen. Dass das Wort „Bitte“ der nunmehrigen Bedürfniserfüllung zum Opfer fällt, ist nicht verwunderlich, dürfte dieses wohl im Erziehungsprozess erst in der fortgeschrittene Phase zum Ausrollen kommen. Ist ja auch sekundär, solange das Kleinkind weiß, was es will.
Schauen wir uns doch die Situation etwas näher an. Handelt es sich um einen Konflikt? Definitiv. Auch wenn ich mich zunächst nur selbst in meiner Handlung eine Eiskugel zu kaufen eingeschränkt sah, sprechen wir per definitionem von einem Konflikt, weil eben eine Beeinträchtigung vorliegt, auch wenn diese vorerst nur eine Person betrifft. Durch meine Intervention wurde dieser u.U. auch auf die Mutter übertragen, jedoch nur in dem Fall, wenn diese sich an dieser Stelle selbst in ihrer Handlung eingeschränkt fühlte (Abbruch der Verkostung). Die Bedienung hinter der Eistheke ist wohl Kunden dieser Art gewohnt, wird sich also nicht involviert gesehen haben. Ohne Frage wohnt dieser Situation nur ein geringes Potenzial an möglicher Eskalation inne (hoffentlich werden Eisdielen nicht zum Hotspot blutiger Auseinandersetzungen) und es gibt absolut wichtigere Themen als den Kauf einer Eiskugel, oder? Trotzdem stellt sich die Frage, ob die handelnden Personen auch bei kleinen Konflikten in der Lage sind, Lösungsmöglichkeiten zu sehen und durch empathisches Handeln Kompromisse anzubieten. Im aktuellen Fall, wäre z. B. eine Option meinerseits gewesen, auf den Eiskauf zu verzichten, oder einen Kollegen des Eis-Mannes hinter der Theke anzusprechen. Hätte ich nicht mehr Empathie für die Kinder bzw. die Mutter für andere Kunden leisten können? Das könnte der Fall sein.
In jedem Konflikt stehen uns mehrere Handlungsoptionen offen. Manchmal versperren uns die eigenen Emotionen allerdings die Sicht darauf. Wir sollten an ihnen lernen, sorgsam zu handeln. Denn in kleinen Konflikten lernen wir den Umgang mit den großen Problemstellungen des Lebens.
Konflikt-Barometer
Das Konflikt-Barometer ist der nicht wissenschaftliche Versuch einer Bewertung von Konfliktsituationen. Es können je nach Ausprägung bis zu 3 Dynamitstangen bzw. Friedenstauben vergeben werden.
Involvierte Personen: 🧨🧨
Eskalation: 🧨
Relevanz: 🧨
Geleistete Empathie: 🕊️
Lösungsoptionen: 🕊️🕊️🕊️
Erzielter Kompromiss: 🕊️
Der Autor erlaubt sich nur in der Verarbeitung persönlicher Konflikte Mitteln der Satire.
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