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AutorenbildJürgen Dostal

Mediation nach der Covid-19-Pandemie

Aktualisiert: 27. Apr. 2024

In der vom Autor im 1. Quartal 2023 durchgeführten Studie wurden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Mediation erforscht. Grundsätzlich wirrd Mediation in ihrer Anwendung im digitalen Raum über weite Strecken von den Befragten im Vergleich zur Mediation in Präsenz ausgewogen beurteilt: Jenen, die Herausforderungen vermuten bzw. erlebt haben, steht eine ähnlich große Gruppe von Mediator*innen gegenüber, welche die pandemiebedingten Veränderungen sogar mit Verbesserung assoziiert haben, insbesondere, wenn bereits Erfahrungen in der Anwendung von digitalen Hilfsmitteln gesammelt wurden.


50% der Befragten führten zum Zeitpunkt der Online-Befragung (Dez. 2022) noch keine digitalunterstützten Mediationen durch. Entweder haben sie während der Pandemie die Tätigkeit der Mediation nicht ausgeübt oder sie haben keine digitalen Hilfsmittel angewandt. Ältere Mediator*innen mit längerer Berufserfahrung waren gegenüber der Digitalisierung etwas offener, wobei sich alle Mediator*innen durch eine hohe digitale Reife im privaten Umfeld auszeichnen.


Der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Studie weitestgehend auf die Funktion des audio-/visuellen Austausches über Video-Konferenz-Systeme beschränkt. Weiterführende Funktionen dieser Systeme oder ergänzende Applikationen (z. B. Gaming) wurden nur von einer Minderheit (z. B. zur Dokumentation) eingesetzt.


Die Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie zeigen, dass Online-Mediation genauso erfolgreich ist wie in Präsenz, und das, obwohl im Mediationsprozess mehr Herausforderungen von den so praktizierenden Mediator*innen geortet werden. Die Schwerpunkte liegen in folgenden Phasen:


  • Vorbereitung/Einstieg: Hier sieht ein hoher Anteil der Mediator*innen Probleme im Aufbau eines vertrauensvollen Gesprächsklimas. Damit stehen sie allerdings mit dieser Herausforderung nicht alleine da, denn Mediator*innen ohne Einsatz digitaler Hilfsmittel sahen sich in der Zeit der Pandemie im ähnlichen Ausmaß Problemstellungen gegenüber. Gleichzeitig attestieren jedoch die Expert*innen der quantitativen Studie gerade in dieser Phase den enormen Vorteil durch rasche und flexible Terminvereinbarung und ortsunabhängige Meetings.

  • Abschlussphase: Durch die mangelnde physische Präsenz wird den erarbeiteten Lösungen eine geringere Nachhaltigkeit eingeräumt. Diese Einschätzung der Mediator*innen ist aufgrund der Nähe der Studiendurchführung zum Ende der Pandemie noch nicht belastbar.


Diese Problemstellungen finden sich aber nicht in verminderten Erfolgsquoten wieder bzw. besteht die Vermutung, dass bei entsprechender Aufarbeitung dieser Themen die Erfolgsquote weiter verbessert werden kann und damit über jener der Mediation in Präsenz zu liegen kommen wird.


Prinzipiell stehen Österreichs Mediator*innen dem Einsatz von digitalen Hilfsmitteln offen gegenüber – sie messen der Digitalisierung für die Zukunft eine erhöhte Bedeutung zu. Allerdings stimmt diese Einschätzung nicht mit der eigenen Anwendung von diesen Möglichkeiten überein. Auch ein möglicher künftiger Einsatz von KI wird kritisch gesehen. In jedem Fall verzeichnen Mediator*innen, welche die durch die Covid-19-Pandemie induzierten Veränderungen aktiv nutzten, eine verbesserte Auftragslage und ein weitaus vergrößertes berufliches Einzugsgebiet.



Covid-19-Pandemie verändert Mediation in Österreich
Covid-19-Pandemie verändert Mediation in Österreich

Pandemie bedingte Veränderungen im Mediationsprozess

Hatten sich Mediator*innen entschlossen, während der Covid-19-Pandemie zu praktizieren, so haben sie das unter weitestgehender Beibehaltung der bisher bekannten Abläufe (5-Phasen-Modell der Mediation) und Anwendung von in der Präsenz praktizierten Methoden getan.


Die digitalen Werkzeuge haben sich dabei mehrheitlich auf die Anwendung von Video-Konferenz-Systemen beschränkt, allerdings wurden weiterführende Möglichkeiten (z. B. Whiteboards, Chats, Online-Spiele) kaum genutzt. Dementsprechend traten die meisten Herausforderungen in der ersten Phase, der Vorbereitung auf. Mediand*innen mussten hier auf das neue Setting geschult werden und gegebenenfalls Wissensunterschiede zwischen den Mediandinnen bzw. Medianden durch den/die Mediator*in ausgeglichen werden. Insofern hat sich die Aufgabenerfüllung des/der Mediators*in erweitert.


Rückmeldung aus den Experteninterviews lassen den Rückschluss zu, dass die Veränderungen im Prozess noch nicht so weit vorangeschritten sind, als dass auftretende Defizite kompensiert werden können. So wird z. B. der Mangel an nonverbaler Kommunikation, die eine wichtige Quelle für die Erschließung von Emotionen ist, nicht durch andere geeignete Mittel kompensiert. Der Transfer von aus der in Präsenz praktizierten Methoden ist nur bedingt möglich.


Ergänzend sei angemerkt, dass es pandemiebedingt zu einer Verschiebung in den Mediationsthemen (Schule, Nachbarschaft, Scheidung/Trennung) und einer Erhöhung der Eskalationsbereitschaft gekommen ist.


Auswirkungen auf Kommunikation

Die ursprüngliche Forschungsfrage hatte sich auf eine Analyse der einzelnen Phasen der Mediation bezogen. Tatsächlich hat sich in der Studie gezeigt, dass die in der Folge beschriebenen Faktoren für alle Phasen bestimmend sind. Aus diesem Grund wird hier von allgemein kommunikationsbestimmenden Elementen gesprochen.


Zwei Hauptthemen erscheinen im Rahmen der Kommunikation der Mediation unter Einsatz von digitalen Hilfsmitteln besonders kritisch, wobei nochmals angemerkt wird, dass dies nicht die Quote der erfolgreich beendeten Mediationen schmälert:


  • Der Aufbau von Vertrauen zu den Klienten*innen wird von 80% der Mediator*innen im digitalen Setting als schwieriger erachtet. Expert*innen halten dem entgegen, dass bei entsprechender Nutzung von Hardware (z. B. Ausrichtung der Kamera) im digitalen Setting weitaus einfacher der Eindruck vermittelt werden kann, dass sich Mediator*innen den Mediand*innen gleichermaßen zuwenden. Bei entsprechender Vorbereitung durch den/die Mediator*in würden sich Mediand*innen in der ihnen vertrauten Umgebung sicherer fühlen, als müssten sie einen Meeting-Raum aufsuchen, wo sie dem/der Konfliktpartner*in unmittelbar gegenübersitzen.

  • Der Umgang mit Emotionen: Hier liegt das Problem nicht im Umgang mit den Emotionen – einmal erkannt, sehen sich Mediator*innen ausreichend in der Lage, mit diesen umzugehen –, sondern im Erkennen dieser. Hier könnten Training und technische Hilfsmittel zur besseren Erkennung von Stimmmodulation und künftig auch KI einen wichtigen Beitrag leisten.


Daneben wird der Umgang mit möglicherweise auftretenden Machtungleichgewichten im digitalen Raum von mehr Mediator*innen (48,23%) als beeinträchtigt eingeschätzt. Gleichzeitig ist für die Expertinnen und Experten der qualitativen Studie dieser Umstand aber im digitalen Setting weniger oft präsent.


Das Auftreten von Erregungen, das von 59,86% der Mediatoren im digitalen Setting als beeinträchtigend eingeschätzt wird, bzw. dem Umgang mit Aggressionen (55,63%) glauben Expert*innen im digitalen Raum genauso gut begegnen zu können wie in Präsenz. Zum einen treten diese Umstände durch die physische Distanz weniger oft auf, zum anderen lassen sie sich durch Software-Funktionen durch den/die Mediatoren*in besser steuern (z. B. Stummschalten).


Wie nachhaltig sind die Veränderungen?

Für knapp 50% der Mediator*innen hat die durch die Covid-19-Pandemie herbeigeführte Digitalisierung nachhaltige Veränderungen herbeigeführt. Diese werden noch weiter Platz greifen.

  • Mediator*innen haben erkannt, dass sie mit Online-Mediation kosteneffizienter und flexibler agieren können und ihren Wirkungsbereich massiv ausweiten können. Digitalisierung ist damit zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für Mediator*innen geworden.

  • Je mehr Mediand*innen mit den digitalen Werkzeugen (z. B. Video-Konferenz-Software) vertraut sind, umso mehr werden sie selbst Mediationen in digitalem Setting nachfragen. Dies erspart ihnen nicht nur Anreisezeiten, sondern erlaubt auch den Verbleib in der eigenen, als sicher empfundenen Umgebung.

  • Die Kurzfristigkeit der Pandemie hat zwar die Digitalisierung in der Mediation vorangetrieben, noch werden aber längst nicht alle möglichen Funktionen von verfügbaren Hilfsmitteln genutzt. Die von den Mediator*innen aufgezeigten Bedenken können zum Teil durch schon vorhandene Funktionen abgedeckt werden. Zudem bietet es sich an, KI als nützliche Assistenzfunktion für Mediator*innen einzusetzen, wenngleich deren Einsatz aber mehrheitlich von den Mediator*innen noch kritisch gesehen wird. KI könnte Hilfestellungen in Bezug auf die Einschätzung von Mediand*innen, Konfliktdiagnostik, Prüfung von Lösungsvorschlägen und verbesserter Dokumentation erbringen.


Lesen Sie hier die gesamte Studie:


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